Der Dreckberg, das Gebüsch und die Tischtennisplatte


Red Bull District Ride 2014:

62.000 Zuschauer, Bombenstimmung! Mitten in der Stadt hat der Brausehersteller mit schwerem Gerät tonnenweise Dreck aufgefahren und einen furchterregenden Startturm gebaut. In 10 Meter Höhe segeln die Jungs über die Köpfe der Fans hinweg. Der Kanadier Brandon Semenuk gewinnt das Event auf Grund seiner phänomenalen 720`s, Double Tailwhips und seines abschließenden, sensationellen Backflip Barspin One Foot Can.

1.

Respekt, auch von unserer Seite! Wir hätten das ja auch immer gern gekonnt. Und waren eigentlich auch schon oft nah dran. Wenn auch immer nur unfreiwillig. Zum Beispiel wenn die olle DiaCompe bei Nässe mal wieder nicht richtig verzögert hat. Da ging es dann Cliffhanger-mäßig im Frontflip mit No foot no hand landing ab in die große Hecke am Schulgelände. Autsch!

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Dass die Jungs heute so etwas stehen und dafür auch noch Punkte bekommen, konnte man sich damals irgendwie noch gar nicht vorstellen. Sonst hätten wir das natürlich sofort geübt!

Rückblende: 1982, das Schulgelände am Max-Planck-Gymnasium in Böblingen: Wir arbeiten hart an unseren Freestyle-Skills. Wir nehmen und befahren dabei was wir kriegen können: In erster Linie Parkbänke, Treppen, Böschungen, irgendwelche Abhänge oder auch Tischtennisplatten.

Tischtennisplatten? Ja, die unnachgiebigen Dinger aus Beton mit Stahlnetz in der Mitte, wie sie gern auf Schulhöfen aufgestellt werden. Dazu zwei Schalbretter von der Baustelle und fertig war der urzeitliche Street-Parcours.

Mit viel Anlauf und noch mehr Mut (von beidem gab es reichlich) gelang sogar der eine oder andere Heli längs über die Platte. Oder auch mal nicht. Das brachte mir persönlich dann drei Wochen ohne Hausaufgaben und bis heute ein kräftiges Schnarchen ein. Denn mit gebrochener Nase, losen Zähnen, halb abgebissener Zunge und Gehirnerschütterung musste man nicht in die Schule – immerhin!

Natürlich gibt es keine Handy-Cam oder GoPro-Aufnahmen von den Sprüngen, das digitale Zeugs war ja noch nicht erfunden. So weiß ich bis heute nicht, was beim letzten Sprung eigentlich schief gelaufen ist. Nicht einmal ein Foto existiert. Doch in der vor-digitalen Ära mit den wertvollen Filmen hat man sich ja noch gut überlegt was man fotografiert. Ein zerschundenes Gesicht war im Gegensatz zu heute nicht erste Wahl.

Ein Helm hätte mich damals sicher vor dem Schlimmsten bewahrt. Helme waren aber eher verpönt…es gab ja auch nichts wirklich Cooles. Die Moto-Cross-Helme wogen gefühlte 10 Kilo und schlabberten lose auf unseren Bubenköpfen herum, Halbschalen-Fahrradhelme mit TÜV-Siegel, wie Sie unsere Kinder heute zur Sicherheit schon beim Blumenpflücken auf der Wiese tragen, gab es schlicht noch nicht. Von Protektoren ganz zu schweigen.

Apropos Wiese und Blümchen: Probleme machte neben dem ständigen Schorf an Schienbein und Unterarm gelegentlich auch der Hausmeister der Schule. Der war absolut nicht begeistert von unseren frühen Dirt-Lines, die wir bei Regen in die örtlichen Grünanlagen frästen. Dirt hieß für uns damals auch einfach nur: Möglichst schön dreckig vom Scheitel bis zur Sohle, von meterhohen Sprüngen noch keine Spur.

Bis eines Tages am Schulsportplatz eine Tartanbahn angelegt wurde! Abgesehen davon, dass man auf dem roten Untergrund prima Starts trainieren konnte (wir wollten ja schließlich auch Rennen gewinnen), schmissen die Bauarbeiter den Aushub auch noch dankenswerterweise an den Rand einer unserer Lieblings-Böschungen. So konnten wir schon am nächsten Tag den Dreckberg mit Anlauf befahren und bespringen.

Doch wir wollten mehr! Wir wollten eine Halfpipe!! Doch es gab keine und fatalerweise auch keinen Vater der so etwas bauen konnte. Das konnten nur die Amis richtig. Die konnten überhaupt alles, das konnte man in der BMX Action deutlich sehen.

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Doch wir hatten Zeit, Willen und Schaufeln im Überfluss. Einige Wochen später sprangen wir schon ca. einen Meter über die Kante unseres geliebten Dreckhügels hinaus und konnten irgendwann sogar die Landungen stehen. Freestyle-Weltklasse war das! Nun ja, auf jeden Fall nicht schlecht für die schwäbische Provinz in den frühen 80ern.

((BILD VOM BERG HEUTE))

Ja, so war das in der Zeit vor Red Bull und der Kommerzialisierung des Dreckhügelspringens. Heute hat jeder kleine Ort seinen Skate-Platz. Und wer richtig Hip sein will (wie Stuttgart Weil im Dorf) leistet sich sogar einen Pump-Track hinter dem Jugendhaus. Bike-Parks schießen wie Pilze aus dem Boden, wer Downhill und Freeride fahren will braucht aber mindestens 180 Millimeter Federweg.

Doch auch die die mit viel Schweiß und in Liebe handgebuddelten Dreckhügel (auf neudeutsch: Dirt Jump-Lines) gibt es noch. Man muss nur danach suchen…tief im dunklen Wald. Und sollte sich dann heute wie gestern nicht vom Förster erwischen lassen…doch das ist noch eine andere Geschichte.

Übrigens: Wir wissen es ja schon seit den frühen 80ern…aber wer bis jetzt nicht weiß wie ein Backflip Barspin One Foot Can aussieht, mit dem man bei Red-Bull-Events auftrumpfen kann, kann ja einfach hier nachsehen:

http://www.redbull.com/de/de/bike/stories/1331676925285/red-bull-district-ride-brandon-semenuk

 

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